GRAGGENAU

historische Stadtteilzuordnung der Neuturmstrasse 5

Erstnennung: 1458 Dezember 29 Gragkenaw viertail.
Bedeutung des Namens: Ableitung von der „Graggenau" (Krack = Rabe, Krähe). Der Name erstmals 1325 in der Stadtkammer-Rechnung („Grakkaw"), 1326/27 „Gragkenawe". Die Steuerbücher verstehen unter Graggenau das Gebiet zwischen dem Wurzer- oder Kosttor bis zur Ledererstraße und vom Sparkassenbach im Westen bis zur Hochbrückenstraße im Osten. Im Zentrum dieses Gebietes liegt das Platzl. Auch das Gebiet außerhalb der Mauer bis etwa zur heutigen Prinzregentenstraße zählte bis ins 16. Jahrhundert zur Graggenau (später Lehel). Lage: Zwischen Theatiner-, Weinstraße, Marienplatz und Tal. Andere Namen (nach dem jeweiligen Viertelhauptmann): (des) Wilbrechts Viertel, Hansen Barts Viertel, des Scharfzahns Viertel. Heute: Stadtbezirk 1 - Altstadt-Lehel



DiE BONBONNiERE

historische Vorgängerlokalität in der Neuturmstrasse 5

Neunundzwanzig Tage vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler gründet Erika Mann am 1. Januar 1933 zusammen mit dem Bruder Klaus und der bereits arrivierten Therese Giehse das politisch-literarische Kabarett Die Pfeffermühle in München. Der Vater, Thomas Mann, hat die Idee für den Namen; er spricht von dem Unternehmen als „Schwanengesang der deutschen Republik“. Erika Mann weiß von Anfang an um die Gefährlichkeit der politischen Situation, um das eingegangene Risiko. Der Völkische Beobachter nahm die Schauspielerin und Publizistin bereits 1932 unter massiven Beschuß. Sie referierte bei der „internationalen Frauenversammlung für Frieden und Abrüstung“. Das Kampfblatt VB drohte ihr und der Familie ganz unverhohlen: „Das Kapitel 'Familie Mann' erweitert sich nachgerade zu einem Münchener Skandal, der auch zu gegebener Zeit seine Liquidierung finden muß.“ Erika Mann läßt sich durch die kruden Drohungen nicht einschüchtern und verfolgt unbeirrt die Pläne für die Etablierung des Kabaretts. Sie riskiert beim Aufmarsch der braunen Kolonnen den politisch-literarischen Gegenangriff und notiert später:

„Es war ein kühnes Unterfangen. Denn von Anfang an war die 'Mühle' militant antinazistisch. Während Hitler brüllte, schwiegen wir nicht. Wir schwiegen auch nicht an jenem Februarabend, da im Hofbräuhaus, Rücken an Rücken mit unserer 'Bonbonniere', der 'Führer' seine Antrittsrede als Reichskanzler hielt. in unserem überfüllten Saal befand sich Herr Frick - eifrig kritzelnd. Er stellte seine schwarze Liste her. Wir spielten, während der Reichstag brannte.“

Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 residiert der braune Ritter von Epp als Gauleiter in München. Die erste Verhaftungswelle rollt. Otto Falckenberg, Direktor der Kammerspiele, wird von den Nazis vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. In München spielt Die Pfeffermühle nur zwei Monate. Das Kabarett debütiert mit Texten von Erika und Klaus Mann und Walter Mehring, das Folgeprogramm (Premiere 1.2.1933) bildet bereits das Finale in Deutschland vor der erzwungenen Flucht. Die streitbare Kabarettistin Mann erinnert sich:

„Es war undenkbar, die ,Pfeffermühle` weiter zu betreiben. Ich ging zu dem Besitzer vom 'Serinissimus' (wegen des großen Erfolges hatte man ab April eine größere Bühne gesucht) und sagte: 'Es ist Ihnen klar, daß wir nicht am 1.4. bei Ihnen eröffnen können.' Der, ein Ur-Münchner, sagte: 'Was, warum nicht. Sie haben einen Vertrag, einen Vertrag ham'S!' ich sagte: 'Ja ja, wir haben einen Vertrag, aber wir sind doch ein Antidingsda-Unternehmen, und die Schwarzen Listen liegen schon vor, und das wäre doch für Sie, auch für Sie ...' Sagt er: 'Für mi! Des war no des Bessre, es geht ums G'schäft.' ich sagte: 'Ja, es geht ums Geschäft, aber es wird ja sofort geschlossen, und wir werden alle verhaftet. Sie auch!' Sagt er: 'I? Ich bin ein altes Parteimitglied, da schaun's her, und ich stell ihnen ein SA-Saalschutz, Sie werden beschützt sein ...' ich hab also gesagt: 'Mit einem SA-Saalschutz machen wir das eins-A, die Sache ist geschaukelt, das wäre ja noch besser.', 'Ja', sagt er, 'sonst müßt ich Sie wegen Vertragsbruch glatt belangen.' 'Nein, wir treten auf.' Also dies gesagt habend, setzte ich mich mit den Mitgliedern meiner Truppe in Verbindung und sagte: 'Dies geht nicht, wie Euch klar ist.'“

Mit englischem Paß ist die Flucht nach Zürich für Erika Mann problemloser als für das übrige Ensemble. Therese Giehse, Sybille Schloß und der Komponist und Pianist Magnus Henning folgen in das Exil. Nach längeren, durchweg schwierigen Vorarbeiten eröffnet das erste Exil-Programm der Pfeffermühle im Züricher Hotel „Hirschen“ am 30. September 1933. „Dieses ungewöhnliche Kabarettprogramm“, schreibt Klaus Mann, „hatte nicht nur sittlichen Ernst und geistige Aktualität, sondern Charme, Rhythmus, Laune: Eigenschaften, ohne die keine Gesinnung, sei sie noch so schön, sich bei dem Theaterpublikum durchsetzt.“
(Quelle)

weiterführender Text

Erika Manns Pfeffermühle CD und Buch

Erika Mann 1934